Samstag, 11. August 2018

[Leseprobe] 2. Kapitel - "Impa & Way und die Namen des Bösen"

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Die alte Bibliothek von Finsterhain tauchte düster und wenig einladend vor Way auf. Er verspürte keinen großen Drang, durch die schwere Eichenholztür ins Innere zu treten. In seinem Leben gab es bereits genug Dunkelheit.
Er atmete tief ein und aus, musterte einen Moment die untergehende Sonne, die es geschafft hatte, die Regenwolken zu verdrängen und betrat die alte Villa.
„Kann ich Ihnen helfen?“, wurde er von einer strengen Stimme begrüßt. „Wir schließen in einer halben Stunde!“
Die alte Frau, die äußerlich jedes Klischee einer Bibliotheksangestellten untermauerte, klang, als würde sie am liebsten jetzt schon Feierabend machen, um den Büchern und sich selbst eine kleine Verschnaufpause zu gönnen.
Way schüttelte den Kopf und steuerte die breite Holztreppe an, die nach oben führte. Die weniger begehrten Bücher befanden sich mit großer Wahrscheinlichkeit oben, weit entfernt von den normalen Lesern, die einfach nur einen guten Roman zu ihrer Unterhaltung suchten.
Die grauhaarige Bibliothekarin, die eine geblümte Bluse und einen dunkelroten, knielangen Faltenrock trug, verfolgte ihn mit einem kritischen Blick.
Way wusste genau, dass ihr seine dunkle Kleidung missfiel. Seine schwarzen Stiefel, die enge Hose und seine Lederjacke waren ihr eindeutig zu viel, hinzu kam seine unmögliche Frisur. Way war seit Jahren nicht mehr bei einem Friseur gewesen. Stattdessen schnitt er sich seine Spitzen lieber selbst, wodurch einzelne Strähnen seines kinnlangen Haares immer wieder ein Eigenleben entwickelten und wild von seinem Kopf abstanden. Manche Menschen hielten Way bestimmt für einen Punk.
Er fand die Sachbuchabteilung und stürzte sich auf das Regal mit den historischen Werken. Irgendwo hier musste es einen Hinweis geben. Wenn das Internet versagte, lag die Antwort meist in einem alten Buch verborgen.
Mit zusammengekniffenen Augen las er die Titel. Das gelbstichige Licht, das die Lampen an der Decke abgaben, erinnerte ihn an Kerzenschein, was ihn völlig unpassend für einen Ort vorkam, an dem es ums Lesen ging.
Die Bibliothekarin war ihm gefolgt. Wie ein düsterer Schatten tauchte sie hinter ihm auf.
„Kann ich Ihnen helfen?“, wiederholte sie ihre Frage wie ein Leierkasten und deutete auf ihre silberne Armbanduhr.
„Ich habe schon verstanden, dass Sie gleich schließen“, meinte Way und zog ein schweres Buch aus dem Regal. „Allerdings ist dies ein öffentlicher Ort und ich habe etwas Wichtiges für das Gemeinwohl zu erledigen. Wenn Sie wollen, können Sie aber ruhig schon gehen. Es wäre nur schön, wenn Sie vorher für etwas mehr Licht sorgen könnten!“
„Wie bitte?“ Die Bibliothekarin sah ihn entgeistert an.
Way hatte keine Lust und Zeit mit ihr zu diskutieren. Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Ich versuche mich zu beeilen, in Ordnung?“
Die alte Dame nahm ihre Brille, die an einem Band um ihren Hals hing, ab und sah zu, wie er sich mit dem Buch an einen runden Tisch setzte, der in der dunkelsten Ecke stand.
„Wenn Sie mir sagen würden, was genau Sie suchen, könnte ich Ihnen vielleicht helfen! Geht es um ein Geschichtsreferat?“
Way musste lachen. „Nein, es geht um ein Wesen, vermutlich ein Dämon. Es muss sich um einen sehr außergewöhnlichen Dämon handeln! Er scheint stark zu sein, stark und unberechenbar …“
Die Bibliothekarin wich einen Schritt zurück, fast so, als hätte sie Angst vor Way. „Suchen Sie etwas im Fantasybereich? Ich denke, dann sind Sie hier oben falsch …“
„Ich wusste, dass Sie mir nicht helfen können!“ Way vertiefte sich in das Buch, das sich mit der Hexenverfolgung im Mittelalter beschäftigte, allerdings auch ein Kapitel mit der Überschrift „Hexen, Dämonen und der Pakt mit dem Unbekannten“ besaß.
Aus den Augenwinkeln sah Way die Bibliothekarin, die sich an einem Regal festhielt. „Was für einen Dämonen suchen Sie?“
Ihre Stimme hatte sich verändert. Way meinte, Furcht heraushören zu können.
Er blinzelte verwirrt und musterte die alte Frau. Äußerlich hatte sie sich nicht verändert, aber sie strahlte urplötzlich etwas aus, das Way nur allzu gut kannte.
„Haben Sie von dem toten Mädchen gehört, das im Finsterhainer Wald gefunden wurde?“
„Armes Ding“, murmelte die Bibliothekarin geistesabwesend und ohne das kleinste Zeichen von Mitgefühl. „Aber was hat das mit einem Dämonen zu tun?“
„Oh ja, es klingt nach einem klassischen Vampir, nicht wahr?“ Way erhob sich langsam, beinahe in Zeitlupe. „Das Kind war blutleer, allerdings gab es keine äußeren Wunden. Aber wissen Sie was, es gibt gar keine Vampire, nicht wahr? Geister und Dämonen ja, Werwölfe auch, aber Vampire sind nichts als Fiktion. Das müssten Sie als Bibliothekarin ja wissen! Oder ist Ihnen schon einmal einer über den Weg gelaufen?“
Die Bibliothekarin räusperte sich und fing sich wieder. „Ich denke, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen. Wir schließen gleich und ich denke nicht, dass Sie hier fündig werden …“
Way griff in die Tasche seiner Lederjacke und holte einen kleinen, schwarzen Stoffbeutel heraus. „Sie haben keinen Namen, richtig?“
„Was?“ Die Bibliothekarin erstarrte. „Was reden Sie da für ein wirres Zeug? Sie sollten jetzt wirklich gehen!“
Way hatte nicht vor, die Bibliothek zu verlassen, nicht, bevor er herausgefunden hatte, welches Wesen die Kontrolle über diese alte Frau übernommen hatte.
„Wie heißt du?“, fragte Way und verzichtete auf jegliche Umgangsformen. „Und damit meine ich nicht den Namen, den deine menschliche Hülle trägt!“
Im fahlen Licht wurde das faltenüberzogene Gesicht der Bibliothekarin unnatürlich glatt, als würde es sich zusammenziehen und kurz in die Vergangenheit tauchen. Ihre Augen färbten sich tiefschwarz.
„Du hättest auf meinen Rat hören sollen!“ Die Stimme der Frau, die plötzlich nichts Menschliches mehr an sich hatte, wurde unnatürlich tief. „Nun ist es zu spät …“
Way musste grinsen. So schnell hatte er einen Dämon noch nie enttarnt.
Das Gesicht der einstigen Bibliothekarin fiel wieder in sich zusammen. Der Dämon konnte nicht besonders stark sein. Das alles würde ein Kinderspiel werden.
„Warum hast du das Kind getötet?“, wollte Way wissen. „Wozu brauchst du das Blut?“
Der Dämon legte den Kopf zurück und lachte. Für einen kurzen Moment klang er wieder wie eine alte Frau.
Er machte einen Satz auf Way zu und hob drohend einen Arm. Mehr hatte er nicht zu bieten. „Ich werde dich töten, Junge!“
Jetzt musste Way lachen. „Du besitzt ja nicht einmal einen Namen und hast es gerade einmal geschafft, in diesen alten, zerbrechlichen Körper zu fahren. Aber komm, versuch es ruhig!“
Der Dämon ließ sich nicht zweimal bitten. Er schubste Way zum nächsten Regal, besaß dabei aber nicht einmal ansatzweise die Kraft, die er sich einredete.
„Du bist so schwach wie der Körper, in dem du steckst!“ Way warf sich gegen den Dämonen und stieß ihn gegen das Regal mit den esoterischen Büchern. Wie passend. „Willst du mir noch verraten, was das mit dem Kind sollte? Oder soll ich dich lieber gleich zurück in die Hölle schicken?“
Ein rasselndes Geräusch drang aus der Kehle des Dämons. Das war die einzige Antwort, die er geben wollte.
Way seufzte. „Na, welcher Stein darf es denn sein?“
Er tastete in dem schwarzen Stoffbeutel herum. Es wurde Zeit, das alles zu beenden. „Obsidian? Ein Onyx, so schwarz wie dein Antlitz? Oder nein, das ist viel zu düster für so einen Schwächling wie dich. Wie wäre es mit einem Bergkristall. Der funkelt doch so schön, nicht wahr?“
Der Dämon öffnete den Mund und fauchte wie eine Katze. Way hatte ins Schwarze getroffen. Warum machten es ihm diese Wesen nur immer so leicht?
Heilsteine waren die beste Waffe gegen einfache Dämonen, die sich nur unter die Menschen mischten, um etwas zu spielen. Bei einem Monster, dem es nach Kinderblut giert, hatte er aber mehr erwartet.
Way hielt den Bergkristall zwischen Daumen und Zeigefinger. Er war fast durchsichtig, so wie Eis oder Glas. Ein schöner, wenn auch sehr gewöhnlicher Stein.
Leise murmelte Way seinen Exorzismus auf Latein. „In nomine Patris, et Filii, et Spiritus sancti …“
Der Dämon wich zurück und klammerte sich ans Regal. Ein dickes Buch über „Die Kraft der Engel“ fiel zu Boden.
„Sag mir, warum du das Mädchen töten musstest!“ Way unterbrach seinen Exorzismus, um auf diese wichtige Frage eine Antwort zu bekommen.
„Ich war das nicht …“, fauchte der Namenlose. „Ich habe nichts getan …“
Dämonen waren noch verlogener als Menschen. Sie waren sich niemals einer Schuld bewusst. Das hatte Way früh lernen müssen.
„Dann sag es mir halt nicht …“ Wütend stürmte er nach vorne und umklammerte den Kopf der Bibliothekarin mit einer Hand. Mit der anderen stieß er geschickt den Bergkristall in eine ihrer schwarzen Augenhöhlen. Für gewöhnlich reichte der Hautkontakt mit dem richtigen Stein, doch Way wollte auf Nummer sicher gehen.
Der Dämon stieß einen letzten Schrei aus und gräulicher Nebel schoss aus sämtlichen Poren, um sich von dem Stein verschlucken zu lassen. Ein widerlicher Schwefelgeruch breitete sich augenblicklich aus und Way wandte angewidert den Kopf ab. Zu seiner großen Überraschung blickte er dabei direkt in ein blasses Gesicht, das von roten Haaren umrahmt war.
Eine Hexe, dachte er im ersten Moment, fühlte sich aber sofort schlecht. So oberflächlich hatten die Menschen einander bereits im Mittelalter geurteilt und das hatte unzähligen Frauen das Leben gekostet. Die Menschheit änderte ihr Denken nie, es war einfach angeboren.
„Sie ist tot …“, stieß die Rothaarige hervor und presste sich eine Hand auf den Mund. „Du … hast … sie … getötet …“
Way blickte auf die alte Frau, die jetzt vor ihm auf dem Boden lag. Ihr Körper hatte den Dämonen, so schwach er auch gewesen sein mochte, nicht ausgehalten. Ihr freies Auge blickte starr an die Decke und ihr halb geöffneter Mund erzählte stumm von ihrem grausamen Ende. Die Seele, die sie einst zum Menschen gemacht hatte, war längst fort. Vermutlich hatte es nicht einmal einen echten Kampf gegeben.
„Ich habe sie nicht …“, setzte Way an und merkte, wie falsch das klang. „Ich wollte …“
Was hatte diese junge Frau, die kaum älter als er selbst sein konnte, hier verloren? Die Bibliothek schloss doch gleich …
Way gab sich große Mühe, nicht von unwissenden Menschen gesehen zu werden. Die meisten von ihnen hatten wenig Verständnis für das, was er tat, obwohl er tagtäglich auch ihre Leben rettete.
Die Unbekannte setzte sich in Bewegung und stürmte die Treppe nach unten.
„Warte …“, rief er ihr nach, schnappte sich den Bergkristall, den er unbedingt vergraben musste und folgte ihr.

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